entweihnacht – oder der leise Diebstahl Meiner Sprache

07.11.2020, Sachsen, Leipzig: Teilnehmer der Demonstration der Initiative ·Querdenken· rufen und gestikulieren mit ausgebreiteten Armen auf dem Augustusplatz. Einige tragen eine Nase-Mund-Bedeckung, andere nicht. An der Kundgebung gegen die von Bund und Ländern beschlossenen Corona-Maßnahmen nehmen mehrere Tausend Menschen teil. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Man gewöhnt sich an vieles.  Auch an die Dummheit. Nach fast sechzig Jahren Lebenswirklichkeit und unzähligen Meditationsübungen in Stuhlkreisen hat man gelernt, mit dieser unappetitlichen Seite der Evolution seinen Frieden zu machen.

Was mich allerdings in den letzten Jahren zusehends irritiert, ist die Widerwärtigkeit, mit der eine Minderheit von Merkmalsträgern jener Ausprägung  unverhohlen einst wohlklingende Begriffe aus meinem Wortschatz derart mit Dreck bewirft,  dass  sie zumindest einen schalen Beigeschmack bekommen, bisweilen ein Zitieren jedoch auch unmöglich macht.

Wenn Menschen, die vor den Augen der Gesetzeshüter mit richterlicher Unterstützung unter dem Deckmantel des hohen Gutes der Demonstrationsfreiheit ungestraft Freiheiten in Anspruch nehmen, die weit jenseits des Erlaubten und für die Allgemeinheit eine dramatische Gefahr sind, und dabei wutentbrannt und lautstark „Freiheit“ für sich reklamieren , führen sie ein Wort ad absurdum, das mir bisweilen Gänsehaut ausgelöst hatte. Fürderhin werde ich wohl nicht umhinkommen, zweimal hinzusehen, wenn Menschenmengen dieses Wort skandieren.

Doch es geht noch besser: Eine überschaubare Gruppe von gerade mal 10.000 unzufriedenen Wutbürgern brüllt mit Schaum vor den Mund einen der denkwürdigsten Sätze der deutschen Geschichte.
„Wir sind das Volk!“, riefen einst hunderttausende von Menschen, die großer Teile ihrer Freiheit beraubt worden waren unter Lebensgefahr. Wohl wissend, dass sie sich in einem unsichtbaren Spalier von bis an die Zähne bewaffneten NVA-Leuten und Stasifunktionären bewegten, und im gruseligen Anblick von provisorisch aufgestellten Lazarettzelten, die die Verwundeten im Falle eines nicht unwahrscheinlichen Losschlagens der NVA hätten erstversorgen sollen.
Es wirkt geradezu grotesk, wenn  0,01 Prozent einer Bevölkerung, die in Frieden, Freiheit und Wohlstand lebt, diesen Satz für sich einvernehmen, während sie die an einem Galgen hängende Puppengestalt der Kanzlerin vor sich hertragen.

Jüngst kam nun ein neuer Begriff hinzu, den ich bislang für sehr bedeutend und positiv besetzt gehalten hatte.
Querdenker waren für mich Menschen mit einem kreativen, innovativen Gedankenansatz, der unsere Welt verbessern kann.
Wohlgemerkt: Ein Gedankenansatz, der sich bestenfalls unaufgeregt und sachlich dem wissenschaftlichen Diskurs stellt.

In den meisten Fällen wurden solche Gedankenansätze allerdings  schnell wieder verworfen, weil sie zu keiner wirklich praktikablen Lösung führen konnten.
In einigen wenigen Fällen jedoch, schlossen sich kluge Köpfe zusammen, um seinen solchen Ansatz zu Ende zu denken und Lösungen zu schaffen, die uns  weitergebracht haben.
Ein Querdenker, wie ich ihn kenne, sucht den Diskurs, um Synergien zu schaffen und Lehren aus ihnen zu ziehen. Sollte eine Idee nicht zu verwirklichen sein oder gar widerlegt werden, überwiegt die – vielleicht manchmal auch etwas enttäuschte – Einsicht. Keinesfalls jedoch würde ein Querdenker in meinem Sinne um Unterstützung an den rechten und linken  Rändern der Gesellschaft, bei Verschwörungstheoretikern und Aluhutträgern buhlen (In diesem Zusammenhang spricht man dann wohl eher von Querköpfen und Quertreibern). Denn Gedankenexperimente brauchen weder Öffentlichkeit noch Mehrheiten,  sie werden nicht besser, je öfters man sie wiederholt. Sie brauchen kluge Köpfe, die sie zu Ende denken oder widerlegen können. Beides bringt uns weiter.

Leider musste ich beim Lesen eines Artikels aus dem Jahr 2016 nun bei mir selbst feststellen, dass ein einst sehr positiv besetzter Begriff bei mi inzwischen unterschwellig Unbehagen auslöste.
Eine verirrte, in Summe kaum wahrnehmbare, nach gestern denkende Minderheit ohne jeden Lösungsansatz und in Teilen gewaltbereit hat mit ihrem vollkommen wissenschaftsfernen Bauchgefühl mittlerweile dafür gesorgt, dass inzwischen auch dieser wichtige Begriff auf meinem persönlichen, unterbewussten Index gelandet ist.

Und so ringe ich, angekommen im letzten Quartal meines Lebens, das erste Mal nicht nach sondern um Worte.

Während mir eine um finanzielle Abstriche fürchtende Meute hemmungsloser Egoisten eine Utopie nach der anderen vergällt, stehen auf der anderen Seite LinguistI(!)nnen, die mir genderneutral meinen Mohren wegnehmen wollen (wobei mir noch immer niemand sagen kann, was nun aus Karl Mohr in Schillers RäuberInnen werden wird?).

Ein Abschied in Wehmut:

Mach’s gut, alter Mohr, adieu Querdenker,  eine letzte tiefe Verbeugung vor all jenem Teil unseres Volkes , der mit seinem mutigen und doch friedlichen Dagegenhalten einen  nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, das Bild der Deutschen in der Welt ein wenig  zu aufzupäppeln und

Lebe wohl Freiheit, die ich meine, und die in so vielen Teilen dieser Erde eben eben leider keine Selbstverständlichkeit ist, die man für seine egoistischen Zwecke mit Füßen treten dürfte.

 

Anmerkung der Red. : Wir, von ahof.de sehen uns als objektiver Betrachter des Zeitgeschehens, ohne jegliche politische Einflussnahme!  Zu Dokumentationszwecken veröffentlichten wir ausnahmsweise diesen Artikel dieses linksgrünversifften Exredakteurs, den wir selbstverständlich mit sofortiger Wirkung freigestellt haben.
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